Zum Tod von Sensei Kase

Von Gerhard Scheuriker

Seit August 2003 hatte Sensei Kase starke Rückenschmerzen. Am 6. November wurde im Krankenhaus ein Abszess am Wirbel, ein Streptokokkeninfektion am Bein und eine Herzschwäche diagnostiziert. Nach 41 Tagen Behandlung verließ Sensei Kase das Krankenhaus. Einem Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum stimmte er nicht zu. Er trieb mit Hilfe eines Physiotherapeuten zu Hause seine Genesung voran. Zuerst konnte er nicht laufen. Er nahm an Gewicht zu und konnte sich dann mit Gehhilfen im Haus bewegen. Nach und nach schien es ihm besser zu gehen.

Am Freitag, den 19. November 2004, um ca. 8 Uhr, stellte seine Frau bei dem Versuch ihren Mann zu wecken fest, dass er bewusstlos war. Ein Arzt wurde gerufen der ihn in eine Klinik bringen ließ. Er wurde auf der Intensivstation gepflegt. Eine Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn hat wohl das Koma ausgelöst. Bereits am 2. Tag im Krankenhaus wurde zusätzlich eine Lungenentzündung festgestellt. Am 22. und 23. November hatte er noch zusätzlich innerhalb von 12 Stunden zwei Herzfunktionsstörungen. Am Mittwoch, dem 24.11.04, verstarb Taiji Kase um 17.25 Uhr. Die Familie und einige wenige Schüler waren bis zur letzten Minute bei ihm.

Bereits am 26. November wurde Sensei Kase zu Hause in seiner Wohnung in Paris aufgebahrt, wo seine Familie von ihm Abschied nahm. Am 28. und 29. November konnten auch seine Schüler Sensei Kase ein letztes Mal sehen und sich von ihm verabschieden. Er lag bekleidet mit seinem Gi in seinem Büro, mit einem weißen Tuch bis zum Brustkorb bedeckt und einem zufrieden wirkenden Gesicht. Die Gäste entzündeten Räucherstäbchen, schlugen eine Glocke und meditierten mit schönen Erinnerungen an Shihan Taiji Kase. Die beiden Brüder von Kase Sensei waren aus Japan angereist. Sie waren von der Anzahl der Menschen überrascht, die ihrem Bruder die letzte Ehre erwiesen. Es schien, als wäre ihnen nicht bewusst, welche Stellung Sensei in der Karatewelt hatte und wie viele Menschen durch ihn inspiriert wurden. Oft erzählten die Anwesenden ihre Eindrücke und kleine Geschichten, die sie von und mit Taiji Kase hatten.

Am Dienstag, den 30. November 2004, erfolgte um 12.30 Uhr die Trauerfeier und Beisetzung von Sensei im Krematorium Père Lachaise in Paris. Es waren wohl nahezu 350 Personen aus Japan, Frankreich, Italien, Deutschland, Kuwait, Israel, Schweiz, etc. anwesend. Eines der letzten Bilder von Sensei war in der Mitte aufgebaut. Er lächelte mit einem väterlich freundlichen Gesichtsausdruck auf die Anwesenden herab. Es wurden eine Zusammenstellung von verschiedensten japanischen Lieder gespielt, die Sensei Kase sehr gerne hatte. Bruno Garnero zelebrierte ein traditionelles tibetanisches Gebet. Es wurden Beileidsbekundungen aus den verschiedensten Ländern von der Familie verlesen. Immer wieder brachen sie in Tränen aus. Seine Brüder bedankten sich bei uns allen für unser Kommen und für die Eindrücke, die wir ihnen über ihren Bruder vermittelt haben. Der jüngere Bruder meinte, er wisse noch gar nicht, wie er die Emotionen und schönen Eindrücke, die er aufgenommen hat, seiner Mutter, die jetzt 101 Jahre ist, mit Worten vermitteln kann. Sensei Shirai war der einzige, der zum Sarg von Taiji Kase gesprochen hat. Er entschuldigte sich für seine Fehler, bedankte sich für alles, was er bekommen hat, und möchte die Arbeit im Sinne von Kase Sensei weiterführen. Als der Sarg zur Verbrennungsstätte getragen wurde, rief eine sehr emotionale Stimme „Sensei, Oss.“ Alle Anwesenden nahmen es auf und sagten ebenfalls „Oss, Sensei.“ Man kann mit Worten diesen Moment nicht wirklich beschreiben. All die Trauer, der Schmerz und die Dankbarkeit schwangen in dem energieerfüllten Gefühlsausbruch mit. Ein Moment, den die Anwesenden wohl nicht vergessen werden. Am Ende sprachen alle Teilnehmer der Familie Kase ihr Beileid aus. Man konnte erkennen, wie schwer Frau Kase unter dem Verlust ihres Mannes leidet. Es lag ein Kondolenzbuch aus. Dort sind wohl viele kleine Erinnerungen und Danksagungen verewigt worden. Hoffentlich werden alle die Erinnerungen an Sensei Kase in ihren Herzen tragen und weitergeben, was er uns gelehrt hat: Menschlichkeit, Geduld, Respekt und sein Karate. Eine Herausforderung, der wir uns, die ihn kannten, stellen sollten.

Am Sonntag, dem 5. Dezember 2004, um 12.30 Uhr fanden sich viele Schüler und die Familienangehörigen im Hotel Mercure ein. Es waren fast 100 Personen der persönlichen Einladung der Familie gefolgt. Jeder erhielt eine weiße Rose beim Betreten des Saales. Die Anwesenden saßen dann an runden Tischen verteilt im Raum. Eine kleine Musikkapelle befand sich in der linken Ecke, eine Leinwand in der Mitte und ein großes Bild sowie die Urne von Sensei in der rechten Ecke. Die Band sang das Lied, das Bruno Garnero für Sensei Kase geschrieben hatte. Zusätzlich wurde eine spezielle Kyudo - Vorführung abgehalten. Man konnte dabei erkennen, wie viel Arbeit für die perfekte Vorführung notwendig gewesen war. Ein Beispiel, das wir uns immer vor Augen halten sollten, wenn wir üben. Danach wurden Bilder von der Geburt bis zum Tod unseres Sensei gezeigt, gefolgt von einer Videosequenz von seinem letzten Lehrgang im Juli 2004 in Andorra, bei der er den Tsuki erklärte und demonstrierte. Man merkte sofort, wie bei jedem Anwesenden Erinnerungen wach wurden. Mit solchen Bildern und der Möglichkeit, das Körpergefühl beim Karate die Schüler erleben zu lassen, kann die Arbeit von Taiji Kase weitergegeben werden. Alle nahmen noch einmal nacheinander durch Niederlegen der weißen Rose neben der Urne Abschied. Danach erzählten einige ihre Anekdoten mit und um Kase Sensei. Es drang immer wieder durch, dass neben dem großen Können im Karate die menschliche Seite sehr beeindruckt hat. Menschen wie Hiroshi Shirai, Pascal Lecourt, Gerald Dumont, Livia Castro, Marc Stevens, Sivathana Samedy, Jean Piere Lavarato, Milo Bajraktari, Velibor Dimitrijevic und Sandy Hopkins bereicherten mit ihren Worten die trauernde Gemeinschaft. Nach dem Ende der Veranstaltung traten die Gäste nachdenklich mit so manchen Plänen die Heimreise an.

Im Gedenken an Sensei Taiji Kase werde ich meine Karate weiterüben und seine Ideen vermitteln. Er hat uns all das gegeben, was er zu geben hatte, damit wir es weiterführen können. Sein Tod ist eine großer Verlust für die gesamte Karatewelt.

Gerhard Scheuriker

Karlsruhe, den 13. Dezember 2004