Zen-Buddhismus

Der im chinesischen Shaolinkloster durch Bodhidharma verbreitete Zen-Buddhismus (von chin. Chan, ind. Dhyana = Versenkung) hat den größten Einfluss aller religiös-philosophischen Lehren auf das Karate genommen. Absichtslosigkeit und Spontaneität im Tun, vollständige Verneinung irgendwelcher Dogmatik sowie keinerlei Fixierungen auf Autoritäten, sondern Betonung der je individuellen inneren Erfahrung, die man (auch) durch Zazen, das stille Sitzen im Lotussitz bei halbgeöffneten Augen, erwerben kann, sind seine Charakteristiken. Nicht Abtötung der Sinne zur Vorbereitung auf das Jenseits, sondern ihre immer deutlichere Schärfung zur umfassenden bewussten Erfahrung des Hier und Jetzt sind seine Inhalte, die mit paradoxen Mitteln in "zielgerichteter Ziellosigkeit" angestrebt werden. "Der Weg ist das Ziel", "Zen beginnt bei dem, was Du gerade tust", "Tun das, was Du tust, ganz" lauten typische Aussprüche über Zen. Die verobjektivierende und das "Ich" vom Weltganzen isolierende Tätigkeit des Intellekts soll in logisch nicht lösbare Widersprüche verwickelt und dadurch überwunden werden zugunsten einer schließlich spontan und natürlich erfolgenden, alles überwältigenden Erleuchtung (Satori). Dazu soll der Geist von allen Inhalten, letztlich auch von dem Willen, die Erleuchtung zu erlangen, befreit und "leer" gemacht werden: "Es sei kein Hauch zwischen Denken und Tun!" Die Sinne zur Selbst- und Fremdwahrnehmung werden geschärft, der Geist (= Bewusstsein) von allen inneren und äußeren ablenkenden Einflüssen entleert, so dass er nur noch die Realität, so wie sie sich in der momentanen Situation darstellt, wiederspiegelt. Dabei ist es möglich, jede Schrecksekunde, die immer ein Haften am "Ich" voraussetzt, auszuschalten und eine so große realitätsgerechte Handlungsspontanität zu erreichen, dass in der Tat "kein Hauch mehr ist zwischen Denken und Tun". Dies alles sind natürlich überragende Eigenschaften für einen Kämpfer. Die meisten chinesischen und japanischen Kampfkünste stehen von daher dem Zen-Buddhismus nahe, der aufgrund seiner Entwicklung in China und Japan Elemente sowohl des Mahajana-Buddhismus als auch des Taoismus enthält.

Die Trainingsmethodik, sich in unzähligen Wiederholungen von Technikserien einer Idealtechnik anzunähern, dabei den Umweg über den Intellekt zu vermeiden, und so schließlich eine spontane, automatisierte und unglaublich schnelle Karatemotorik zu erreichen, hat sicherlich ihre Wurzeln im Zen. Von daher bietet die Praxis des Zen große Vorteile für die Erreichung eines hohen Karateniveaus. Für den wahren karatetreibenden Zen-Buddhisten lässt sich diese Relation auch umkehren. Die Karatepraxis bei voller und konzentrierter Bewusstheit, aber von störenden Einflüssen ent­leertem Geist, lässt Erfahrungen zu, in denen der Weg zu einem satoriähnlichen Erlebnis aufblitzen kann. Die "leere Hand" (= Karate) und der "leere Geist" des Zen sind dann in einem "Weg" (= Do) vereint. Dann kann man zu Recht sagen, Zen und Karate sind eins.