Kangeiko in Eggbergen 2005

von Matthias Hoffmann

Wir schreiben das Jahr 2005. Bereits vor Weihnachten 2004 wurde rumgefragt: "Hey, wie sieht's aus? Gehst du mit aufs Kangeiko?". Letztes Jahr war ich schon dabei gewesen und ich war Feuer und Flamme das dieses Jahr auch wieder zu sein. Meine Anmeldung ging auch dementsprechend schnell vonstatten und das einzige was noch blieb war darauf zu warten, dass die Ferien endlich vorbei waren, denn am letzten Wochenende selbiger wollten wir los.

07.01.05: Der Wecker klingelt, 7 Uhr in der Früh. Verschlafen blinzle ich aus den Federn, das ganze Haus schläft noch. Egal, ich schwinge mich aus meinem Bett. Großer Tag, viel vor, keine Zeit für Müdigkeit! Also putze ich die Zähne, schwinge mich in leichte Klamotten und rase in aller Herrgottsfrüh durch das Haus. Der Rucksack ist schnell gefunden, ebenso die Klamotten, die ich mitnehmen will, es ist ja nur ein Wochenende. Der Gi wird natürlich auch verstaut und den Gürtel nicht vergessen! Was wäre das für eine Blamage, ein ganzes Wochenende ohne Gürtel trainieren zu müssen, weil mal ihn vergessen hat? Langsam wird das Haus lebendig und mein Rucksack voll. Die Zeit rast. Also frühstücke ich zügig mit der Familie, ziehe mir ein paar halbwegs warme Sachen an und lasse mich nach Müllheim fahren.

Wie sich heraus stellt bin ich trotzdem der Letzte. Drei Autos sind wir, auf dem Weg in die Schweiz. Nachdem wir die Engländer von Sensei Derek Ridgway am Flughafen abgeholt haben, halten wir nur noch einmal für etwas mehr als eine Stunde in Luzern, damit die Engländer noch etwas essen können, denn sie sind doch schon viel länger wach als wir. Und endlich, nach fast vier Stunden Fahrt, erreichen wir die Hütte per Seilbahn. Als wäre das alles Routine für uns, werden die Zimmer in Beschlag genommen und der Proviant verstaut. Viel Zeit bleibt uns aber nicht zum Faulenzen, denn das erste Training ruft in Form von Pascal.

Zwei Wochen, in denen man nicht trainiert hat, sind eine lange Zeit, das merkt man schnell am eigenen Leib. Pascal lässt es aber locker angehen. Wir trainieren Anspannung und Entspannung für die Techniken, erst locker und frei, danach mit Partner. Nach zwei Stunden sind wir dann soweit. Wir fühlen uns wieder ganz wohl in unserer Haut und langsam kommt das Wissen und die Geschmeidigkeit zurück, sofern man vor den Ferien Selbige hatte....

 

Der Abend kommt und wir fühlen uns wohl, haben Sport gemacht und gut gegessen - mit viel Knoblauch und Zwiebeln, das muss erwähnt sein - ein oder zwei Bier getrunken, denn wo Engländer sind, ist Bier nicht fern, und hocken rum. Aber gerade uns Müllheimern liegt das Rumsitzen nicht so an diesem Abend und was liegt näher, als ein wenig den Wettbewerb im Tischtennis zu suchen.

Um es kurz zu machen, Tischtennis haben wir viel gespielt und die Kräfteverhältnisse zeigten sich ziemlich schnell und deutlich. Nebenbei haben wir dann den Platz im Trainingsraum ausgenutzt. Dass bei unserer wilden Rauferei niemand verletzt wurde, bleibt ein Wunder. Als es dann später und später wurde, waren wir so fertig von unseren Rangeleien, dass wir gut schlafen konnten. Eine Erfolgsstory sei hier nicht vergessen: Mit vereinten Kräften von 3 1/2 Karateka Blaugurten (1/2 weil Coy nur halb mitgemacht hat) haben wir es geschafft, unter geringen Verlusten Andi zu Boden zu ringen bis er aufgab. Nüchtern betrachtet hätten die zwei Fußabdrücke auf zwei unterschiedlichen Bäuchen zwar eine Halbierung unserer Streitmacht und damit eine riesige Verschlechterung unserer Chancen bedeutet, aber wer wird denn gleich so schrecklich realistisch sein.

Anschließend verschnaufte unsere Bande dann noch im gemeinschaftlichen Esszimmer und lachte über Keenens Witze, die allesamt mit vollem Körpereinsatz dargeboten wurden. Nach und nach zerstreute sich aber die Versammlung müder Recken.

 

08.01.05: 5:30 Uhr morgens piepst ein Handy und erinnert uns: "Aufstehen, Training!". Die anschließende Stille in unserem Zimmer lässt keinen Zweifel daran: Zu früh, zu müde ... und zu allem Überfluss hat sich unser abendliches Catchen am Vortag beträchtlich auf die Muskeln ausgewirkt. Als ich mich dann langsam im Laufe der nächsten halben Stunde aus dem Bett quäle, frage ich mich doch wirklich, auf was ich mich da eingelassen habe. Dazu muss aber angemerkt werden, nicht das Training hat uns so geschafft, sondern die auf unserem jugendlichen Übermut fußenden "Überstunden". Pascal trifft also keine Schuld.

Was aber an jenem Samstagmorgen mit uns geschah, daran trägt Pascal sehr wohl die alleinige Verantwortung. Kumite. Das ganze Training zu schildern würde den Rahmen sprengen. Deshalb sei bloß gesagt: Was waren wir froh als es zuende war. Doch nur im ersten Moment. Die letzten Minuten des Trainings waren so intensiv, dass ich als verwöhnter und empfindlicher Blaugurt beinahe ein Stoßgebet zum Himmel gesandt hätte, als es hieß "Yame, eine Reihe". Doch wie das so ist, nach dem Training reichten uns fünf Minuten Verschnaufpause, um wieder sagen zu können: "Schade, schon vorbei!", und wir meinten es ehrlich!

 

An diesem Tag suchte uns das Training noch zwei Mal auf. Diesmal allerdings war Sensei Ridgway an der Reihe und wir trainieren Kata. Kyan No Chinto. Nach besagten zwei Wochen bewusster, wohl verdienter Faulheit im Zuge der Schulferien, fällt es nicht wirklich leicht, den genauen Ablauf ins Hirn zu kriegen und nicht selten endet eine begonnene Kata in stiller Erstarrung, Blackout. Und während wir Blaugurte uns noch das Hirn zermartern, wie zum Henker es an einer bestimmten Stelle weiter geht, fegt Andi bereits wie ein Derwisch über die Matten. Zu unserem Glück ist zu sagen, dass niemand angenommen hat, dass wir die Kata innerhalb einer Trainingseinheit verinnerlichen würden und so bleibt uns Zeit, um endlich hinter den Ablauf zu kommen.

Nach dem ersten Training ruft der Sensei dann zur Traditionseinhaltung: Barfuss raus in den Schnee. Vor allem Pascal schien begeistert, er liebt ja kalte Füße. Komischerweise liegt mir jetzt, beim Schreiben dieses Berichtes, kein Beweisfoto vor, dass wir wirklich barfuss im Schnee waren, aber ein anderes Bild, das bei genauer Betrachtung den Bericht dieser Aktion glaubwürdig macht (s.o.)

 

Die beiden Trainingseinheiten von Sensei Ridgway umfassen dann aber auch alle Aspekte, die eine Kata ausmachen. Nachdem wir den Ablauf der Kata gelernt haben, Schritt für Schritt erst, dann in wildem Durcheinander auf engem Raum und später in kleinen Gruppen, bzw. solo, Vorführungsweise vor den Anderen, geht es ans Verstehen. Das Bunkai - wie von Sensei Ridgway gewohnt - umfasst viele Würfe, Hebel und Festhalter. Das Ziel ist es, den Gegner zu kontrollieren und währenddessen am Besten so empfindlich zu treffen, dass sogar dem eigenen Trainingspartner schnell mal die Lust vergeht, als Sandsack herzuhalten. Doch Widersprüche werden nicht geduldet und der Tag endet noch besser als der vorherige. Nach so viel Training haben wir uns das Bier redlich verdient und in dem Wissen halten wir uns gütlich, aber in gesundem Maße versteht sich.

Nachdem alle geduscht haben - was bei den vielen Leuten immer seine Zeit gebraucht hat - essen wir zu Abend. Da jeder glücklich ist, so viel trainiert zu haben, ist die Stimmung sehr entspannt und ein Bisschen bierselig. Markus, der Mitte des Tages zu uns gestoßen ist, soll nicht unerwähnt bleiben. Er und Christine haben den langen Weg nach Eggberge extra gemacht, um ihre englischen Freunde zu sehen und vielleicht ein bisschen mitzutrainieren, zumindest was Markus angeht.

 

Meine Befürchtungen den Abend betreffend erweisen sich später noch als gerechtfertigt. Denn: Was macht man, wenn man den ganzen Tag mit Muskelkater trainiert hat und danach ein paar Bier hinter die Binde kippt und plötzlich nix zu tun hat? Richtig! Man kloppt sich. Sicher, Tischtennis haben wir auch gespielt, und nicht zu knapp, aber das war nicht der Grund dafür, dass wir alle später, aus dem Trainingsraum herauswankend, nassgeschwitzt waren.

9.01.05: Es ist sieben Uhr als die Alarmglocken schrillen: "Wach werden! Letzter Tag! Letztes Training!". Doch wie schon am Vortag bleibt es still, zu still. Ein paar lauschende Ohren verschwinden als sich nichts regt glücklich wieder unter der Decke. Gegen 9 Uhr steht dann Keenen bei uns in der Tür und bewegt uns zum Aufstehen. Das für zwei Stunden angesetzte Sonntagmorgentraining verkümmert damit zu einem knappen Stundentraining. Pratzenarbeit. Trotzdem sind wir alle gut durchgeschwitzt und vielleicht ein bisschen verlegen, dass wir es nicht auf die Reihe bekommen hatten früher aufzustehen. Viel bleibt nun nicht mehr zu berichten. Jeder packte an beim Aufräumen und Putzen und nach nicht ganz zwei Stunden sah das Judohaus wieder richtig manierlich aus. Das musste auch so sein, denn was wäre das für ein Verlust, wenn wir nächstes Jahr nicht wieder dorthin könnten?!

Auf der Rückfahrt verabschiedeten wir uns an einem Rastplatz von den Engländern um Sensei Ridgway Sie wurden noch von Markus und Christine zum Flughafen begleitet, um dann Richtung Heimat zu entschwinden. Fazit eines gelungenen Wochenendes: "See you next year !"


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